Diese Bilder haben etwas Märchenhaftes. Wenn der Berliner Illustrator Olaf Hajek Blumen malt, entsteht um die jeweilige Pflanze herum eine Geschichte, konzentriert in nur einem Bild. So ist das auch in seinem neuen “Buch der Blumen”. Hajeks Schwertlilie und Glockenblume, seine Pfingstrose und die Mariendistel sind zauberhaft.
Deutsche wollen in ihrem Garten entspannen
Möglicherweise begeistert der Band, der für Kinder gedacht ist, Erwachsene sogar noch mehr. Denn jedes Bild und der dazugehörige Text von Christine Paxmann erzählen humorvoll eine kurze Kulturgeschichte der Pflanze. Oder auch, dass sich an manchem Gewächs wie dem Löwenzahn Gärtner die Zähne ausbeißen können. Zumindest solche, die einen tipptopp grünen Rasen bevorzugen.
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Doch der Traumgarten besteht ja nicht unbedingt aus perfekt gepflegtem Golfrasen. Sondern viele denken da eher an alte Obstbäume, üppige Blumenbeete und einen lauschigen Platz zum Faulenzen, Meditieren oder Lesen. 91,6 Prozent der 35 Millionen Gartenbesitzer in Deutschland wollen in ihrem Refugium laut einer Mitteilung der Bausparkasse Schwäbisch Hall am liebsten entspannen. Der Gärtneralltag sieht allerdings anders aus, und unzählige Ratgeber helfen mit Tipps zum Hacken, Jäten, Schneckenfangen.
Der Garten als Ort der Meditation
Doch seit einiger Zeit erscheinen immer mehr Gartenbücher, in denen es weniger um das KleinKlein zwischen Hochbeet und Komposthaufen geht. Das klingt etwa so: “Die Gartenarbeit war für mich eine stille Meditation, ein Verweilen in der Stille. Sie ließ die Zeit weilen und duften. Je länger ich im Garten arbeitete, desto mehr Respekt bekam ich vor der Erde, vor ihrer betörenden Schönheit”, schreibt der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han in seinem 2018 veröffentlichten Buch “Lob der Erde”, das mit zarten Zeichnungen von Isabella Gresser illustriert ist.
Nicht jeder berichtet mit solcher Emphase über das Buddeln und Harken. Doch das Pflanzen, Wässern und Unkrautzupfen ist für viele Autoren eine Metapher fürs Leben – es macht viel Arbeit, bereitet (Rücken-)Schmerzen, und ob das Ergebnis tatsächlich ausfällt wie erhofft, hat man nicht unbedingt in der Hand. Zumindest muss man neben Leidenschaft auch Zeit, Geduld und Geld investieren. Selbst wenn das eigene Fleckchen Grün bei Weitem nicht die Ausmaße hat, auf die es eine der berühmtesten Grünanlagen Europas bringt: Fünf Hektar misst der englische Landsitz Sissinghurst, den Vita SackvilleWest und ihr Mann in den Dreißigerjahren anlegten und über den diese Autorin in Kolumnen und Büchern geschrieben hat, die als Klassiker des Genres gelten.
Zufluchtsort in hektischen Zeiten
Gartenbücher werden auch von Menschen gelesen, die bestenfalls einen kleinen Balkon vor der Mietwohnung haben. Denn ein Garten ist – erst recht, wenn man keinen besitzt – ein Sehnsuchtsort, wo es üppig blüht, wo verschwenderische Pracht herrscht – und die Zwänge des Alltags vor der Pforte zurückbleiben. So ist zumindest die verbreitete Fantasie. Gerade in den vergangenen Jahren ist das Interesse am Gärtnern und an entsprechenden Büchern gewachsen: Der Umsatz mit solchen Titeln ist laut dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels in der Rubrik Ratgeber von 2018 auf 2019 um 3,4 Prozent gestiegen. Die Verlage Ulmer und Kosmos berichten sogar, dass der Verkauf ihrer Gartenbücher 2019 um 10 Prozent gewachsen sei.
Bei einer Lebensweise, bei der es “immer schneller, immer flüchtiger, immer optimierter und leistungsstärker” zugehe, sei der Garten für viele Menschen ein Gegenmodell. Das habe in jüngster Zeit das Interesse am Gärtnern befördert, meint Eva Rosenkranz, Autorin des Buches “Überall ist Garten”, das im Frühjahr mit dem Deutschen Gartenbuchpreis in der Kategorie Prosa ausgezeichnet wurde. “Garten ist ein geschützter Raum mit anderen Qualitäten, die sich teilweise unserer Lebensform widersetzen.” Rosenkranz bezeichnet das Grün hinterm Haus als Zufluchtsort. Zum einen meint sie, dass es Lebensraum für Tiere und Pflanzen sein kann, wenn man dort denn tatsächlich Natur zulasse. Und zum anderen könne es Menschen Rückzugsmöglichkeiten bieten – dort könnten sie allein sein, nach eigenem Gusto handeln und “der eigenen Fantasie folgen, und damit überraschende Erfahrungen machen”.
Garten symbolisiert unsere Verbindung zur Natur
Auch Scheitern sei erlaubt, “weil die Pflanzen eigene Pläne haben, die wir nicht verstehen”, sagt Rosenkranz. Von einer romantischen Überhöhung des Gartens in Büchern hält sie nichts. “Mein Garten ist sehr handfest, und ich lasse zu viel Blaue-Blumen-Romantik links liegen”, erklärt die Autorin. Ihr Buch, illustriert von Ulrike Peter, verbindet ökologische, literaturhistorische und persönliche Perspektive. Doch auch Rosenkranz versteht Gärten als “Spiegel unserer Welt”: Und zwar könnten wir dort verstehen, “dass wir uns von der Natur draußen nicht abtrennen können”.
Auch wenn das Hobbygärtner vor Herausforderungen stelle: “Wir finden vielfach die Balance nicht zwischen Vernichtung und Überhöhung. Unsere gärtnerischen Schönheitsvorstellungen haben oft wenig mit natürlichen Abläufen, mit Blühen und Vergehen, mit Schneckenfraß, Dauerregen oder Trockenheit zu tun. Sie halten der Gartenrealität nicht stand.” Ideale Gärten lassen sich leichter auf Buchseiten finden als in der Realität, was den Erfolg solcher Bücher erklären könnte. Vielleicht liegt die Begeisterung für die grünen Seiten aber auch an dem, was Krimiautor Martin Walker in der Anthologie “How to enjoy your Gartenglück” konstatiert: “Von einer jungen Liebe abgesehen, gibt es wohl kaum etwas, das unsere Sinne so anregt wie ein Garten.” Und manchmal tut es auch ein Gartenbuch.
July 05, 2020 at 05:42PM
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Das Glück der Erde: Der Garten als Sehnsuchtsort - RND
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